„Wo zwei oder drei ...“ – Warum selbst kleinste Gottesdienste für unsere Gesellschaft wichtig sind

Ich höre mitunter die Klage bzw. Kritik: „Zum Gottesdienst kommen doch kaum noch Menschen.“ Richtig ist: Der regelmäßige Sonntagsgottesdienstbesuch nimmt stark ab. Es ist schöner und sinnstiftender, mit 200 oder 300 Leuten zu feiern als mit zwei oder drei. Small ist nicht automatisch beautiful.  Es kann frustrieren, wenn gerade nach der Coronazeit jede Woche neben Pfarrerin, Küster und Organist nur ein paar Alte und Pflichtkonfirmand/innen kommen. Umgekehrt tut es gut, nach neuen Formen, Zeiten, Orten, Sprachen und Anlässen zu suchen.

 

Doch was bei der Klage bzw. Kritik vielfach übersehen wird, ist, dass theologisch die Größe des Gottesdienstes nicht entscheidend ist. Sondern allein, ob Christus selbst durch seinen Geist gegenwärtig ist. Frech achtet Gottes Liebe das Kleine. Und es wird übersehen, welche Bedeutung kleine und kleinste geistliche Gemeinschaften für unsere Gesellschaft haben können. Daher hier: eine kleine Lobrede auf die soziale Bedeutung von Gottesdiensten, egal welcher Größe.

 

  1. Wo zwei oder drei im Namen Jesu Christi zusammen sind, wächst Gemeinschaft.

Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist. Und Einsamkeit hat in unserer Zeit geradezu epidemische Ausmaße angenommen. Sie reicht von dem digitalen Alleinsein junger Menschen: und hinter 1000 Followern kein Freund. Über die Einsamkeit der mittleren Jahre: weil wir ja Nachbar/innen, Freund/innen vermeintlich nicht brauchen. Bis zum Alleinsein im Alter, wenn die Kreise enger werden und die Welt fremder. Im Gottesdienst begegne ich Menschen, mit denen ich sonst vielleicht nichts zu tun hätte. Menschen, die wie ich suchen, glauben, zweifeln, hoffen, lieben, scheitern, die doch oft ganz andere Lebenserfahrungen haben als ich, die sich aber mit mir von dieser unbedingten Feindesliebe zu allen Menschen leiten lassen, die Christus gelebt hat – bis ans Kreuz und darüber hinaus.

 

  1. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, lernen wir teilen.

Teilen – das ist wichtig, lebenswichtig für den, der empfängt, wie für den, der gibt. Weil eben mein Besitz nicht mich besitzen soll, sondern mir nur anvertraut ist, damit ich anderen damit helfen kann. Die Kollekte im Gottesdienst ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie übt im Teilen. Die einfachste Definition des christlichen Glaubens ist, miteinander essen zu können.  „Gebt ihr ihnen zu essen!“  Das ist der Grundauftrag Jesu Christi an seine Jüngerinnen und Jünger. Teilen lernen. Wir reden viel zu selten über die himmelschreiende Armut in unserem reichen Land – dass es Kinder gibt, die hungrig zur Schule kommen. Über die himmelschreiende Armut weltweit, dass neun Millionen Menschen jährlich an Hunger sterben. Über die unterernährten Kinder im Sudan, im Kongo, im Gazastreifen. Und vor allem tun wir zu wenig. Eigentum verpflichtet. Das ist der kürzeste Satz im Grundgesetz. Und zugleich vielleicht der schwierigste.

 

  1. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, üben wir zu danken.

Dass es Sie und mich gibt, ist ein Geschenk. Nicht von uns gemacht. Nicht verdient. Unverfügbar. So wie der Sommer, die Berge, das Meer, das Tanzen, die Liebe, die Freiheit, das Leben. Das ist das Schöne am Glauben, dass man jemanden hat, um für all das zu danken. Es einfach nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Ich glaube, dass uns das als Gesellschaft guttut: uns selbst als Beschenkte zu erfahren. Und uns im Danken zu üben.

 

  1. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, erfahren wir Gottes Segen.

„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ Das ist die Verheißung Abrahams, die wir durch unsere jüdischen Geschwister empfangen haben. Dass Gott uns segnet, dass wir einander segnen und dass wir segensreich für Gottes ganze Schöpfung leben. Ich glaube, dass wir die Probleme von Klimawandel, Artensterben, Wasserknappheit, Plastikmüll nicht einfach nur technisch werden lösen können – sondern dass es dazu ein neues, inneres Verhältnis zu unserer Umwelt, zu Gottes Schöpfung braucht. Gesegnete Geschöpfe sein, die anderen zum Segen werden sollen. Der Gottesdienst ist der Ort, wo ich Segen erfahre. Und selbst wenn ich einmal quer drauf bin und mit Gott, den anderen, mir selbst nichts anfangen kann, am Ende des Gottesdienstes erwartet mich immer der Segen. Wie schön!

 

  1. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, lernen wir Frieden.

Achten Sie einmal darauf: Frieden ist das erste Wort auf der Kanzel. „Der Friede Gottes und die Liebe Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“ Und mit Frieden endet jede Predigt: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.“ Alles dazwischen ist Friedensbotschaft. Das mag in manchen Ohren naiv klingen, nach Gutmenschentum. Doch unsere Gesellschaft muss nicht nur Verteidigungs-, sondern vor allem auch Friedensfähigkeit neu lernen. Wie wir Kriege verhindern, Gewalt beenden können, wie „Ent-Feindung“ funktioniert und Feindesliebe. So notwendig militärische Aufrüstung jetzt zur Eindämmung von Gewalt ist: Waffen töten. Sie lösen keine Konflikte. Und sie kosten Milliarden, die wir dringend anderswo bräuchten. In der Nachfolge des Gekreuzigten stehen wir an der Seite der Opfer von Gewalt. Und im Licht der Auferstehung leben wir aus einem Frieden, der eben höher ist als unsere Vernunft.

 

  1. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, gibt es Raum zum Schweigen und zum Klagen.

Das brauchen wir angesichts von Katastrophen wie bei Schlagregen und Überschwemmung. Angesichts menschenverachtender Gewalt, die einem die Sprache verschlägt. So wie nach dem Tod des jungen Polizisten in Völklingen. Oder dem Messeranschlag in Solingen vor einem Jahr. Raum zur Klage haben. Zeit der Stille – um Leid und Trauer gemeinsam auszuhalten. Und um allen zu widersprechen, die versuchen, aus dem Leid anderer politisches Kapital zu schlagen.

 

Und schließlich 7. Wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, erzählen wir die alten Hoffnungsgeschichten.

Dass die Liebe stärker ist als der Tod. Dass Versöhnung, Umkehr, neues Leben möglich ist. Dass Gott uns mit all unserem menschlichen Schlamassel nicht allein lässt. Wir sind Teil einer 3000-jährigen Erzählgemeinschaft. Und diese Geschichten machen etwas mit uns. Sie lehren uns zu hoffen – und zu vertrauen. Weil es eben nicht nur darum geht, dass wir an Gott glauben, sondern dass Gott an uns glaubt und uns frei macht, einander zu glauben, zu vertrauen.

 

All das geschieht in unseren Gottesdiensten und Kirchen. Jede Woche. Nicht nur am Sonntag. In großen wie in kleinen Feiern – und macht sie zu besonderen, heilsamen Zeiten und Orten. Und auch wenn äußere, steinerne Kirchenbauten nicht heilsnotwendig sind, so sind sie doch wichtig für uns. Weil sie durchbetete Räume sind. Weil meine verkrümmte Seele sich hier dehnen kann und ich nach oben gezogen werde. Weil sie ein „Anders-Ort“ (Heterotopos) sind, der die Horizonte unserer Diskussionen weitet. Weil wir hier etwas vom Glauben unsere Mütter und Väter erfahren können – in einer Zeit, in der viele nicht nur Gott vergessen haben, sondern auch vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Weil wir Orte brauchen zum Schweigen, Klagen, Stillwerden, um das eigene Leben und das unserer Mitmenschen wieder zu spüren.

 


Theologische Impulse (178) von Präses Dr. Thorsten Latzel

 

Bildnachweis: © Sandra Hirschke / fundus-medien.de

Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de

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  • 30.08.2025
  • Thorsten Latzel
  • Red