Es ist Advent. Für mich ist es in diesem Jahr in besonderer Weise ein Mutmonat. Eine Zeit der Entfürchtung – mitten in der dunkelsten Zeit des Jahres. Ein geistlicher Kontrapunkt zu all den täglichen Krisennachrichten. Ging es am 1. Advent um die Zusage: „Fürchte Dich nicht! Du bist nicht allein.“ – so steht am 2. Advent eine andere Haltung im Zentrum: ein Aufsehen – Sich-Aufrichten – Auf(er)stehen.
Der Wochenspruch lautet: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lk 21,28) Jesus Christus sagt diese Worte zu seinen Jünger/innen im Zusammenhang einer Rede über die Endzeit. Er beschreibt dabei eine Stimmung, die manche Menschen heute auch so empfinden: „Und […] auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“
Mitten in diese düstere Untergangs-Stimmung hinein verheißt Christus sein Kommen als Menschensohn. Und er beschreibt eine andere äußere wie innere Haltung. Die Haltung eines durch Hoffnung und Mut aufgerichteten Menschen. Eine Haltung, die sich nicht von dem allgemeinen Sog nach unten bestimmen lässt. Eine Haltung des Glaubens, die uns aufrecht durchs Leben gehen lässt.
Der Schlüssel ist dabei die kleine Vorsilbe „auf“ (griech. ana). Advent – das ist die Zeit, in der wir den aufrechten Gang einüben. Als ein homo erectus, der nicht durch erdenschwere Sorgen, sondern durch himmlische Verheißung bestimmt wird. Advent – das heißt aufsehen, sich aufrichten, auf(er)stehen, weil wir von oben, nicht von unten leben.
- Aufsehen: nicht aufeinander, sondern auf Christus
Das Wort „aufsehen“ hat eine doppelte Bedeutung. Es kann heißen, auf etwas bzw. jemand zu sehen oder nach oben zu sehen. In kritischen, unruhigen Zeiten geschieht es leicht, dass wir als Menschen aufeinander herabschauen. Gleichsam zum moralischen Aufseher der anderen werden. Wir schauen auf die Fehler der Politiker/innen, die Macken unserer Nachbarn und jedes noch so kleine Versäumnisse unserer Mitmenschen. Ein nörgelnder Empörungsblick, der uns leicht nach unten ziehen kann. Dabei sehen wir uns weniger an, als auf einander hinab. Christus dagegen richtet unseren Blick nach oben. Darauf, was uns zugesagt ist. Auf sein eigenes Aufsehen erregendes Kommen. Mitten in all den düsteren Nachrichten sehen wir die Hoffnungszeichen seiner Gegenwart.
- Sich aufrichten: eine andere Haltung aus Hoffnung
Mit dem Aufsehen auf Christus geht eine andere Haltung meines gesamten Körpers einher. Wer aufblickt, richtet sich auf. Vielleicht beginnt Advent genau damit: mit der Änderung unserer Körperhaltung. Ich richte mich auf, hebe meinen Kopf, gehe heraus aus meinem Angst- und Sorgen-Buckel. Nicht, weil die Welt friedlich oder auf einmal alles gut wäre. Aber weil ich aus einer anderen Hoffnung lebe. Weil ich mich nicht von außen bestimmen lasse, sondern von innen, von Christus. Sich aufrichten heißt, der Angst nicht das letzte Wort lassen. Einen neuen Horizont entdecken. Hoffnung leben.
- Aufstehen: Leben im Licht
Am Ende der Geschichte Jesu und am Anfang unseres Glaubens steht das Wunder, das weit größer ist als jede Katastrophe – die Auferstehung. Im Advent üben wir das ein: im Aufsehen und Sich-Aufrichten aus der Auferstehung zu leben. Ein Leben, über das der Tod keine Macht mehr hat. Unsere Hoffnung erwächst nicht aus einem Optimismus auf bessere Zeiten oder aus der Verharmlosung der Krisen unserer Zeit. Es ist vielmehr eine radikale Infragestellung dieser Welt. Wir leben in einem anderen Licht. Aus einer Verheißung, die stärker ist selbst als der Tod. In einer Freiheit, die unseren Blick nach oben richtet, unseren Rücken gerade macht und uns aufrecht leben lässt.
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Ihnen einen gesegneten 2. Sonntag im Mutmonat Advent.
Theologische Impulse (187) von Präses Dr. Thorsten Latzel
Bildnachweis: Andrealison Leao de Souza auf Pixabay
Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de
Hinweis: Die Theologischen Impulse werden auf verschiedenen Webseiten ausgespielt. Die Kommentarfunktion können Sie nutzen, wenn Sie diese Seite direkt über das Blog unter praesesblog.ekir.de besuchen.
